"Bergsteigen ist kein Russisch Roulette, sondern ein Pokerspiel."

"Bergsteigen ist kein Russisch Roulette, sondern ein Pokerspiel."

Der 30-jährige Jost Kobusch erzählt von seinem Beruf als Bergsteiger und verrät, welcher Berg als Nächstes auf seiner Liste steht.

Zeit in den Bergen zu verbringen – das verbinden viele Menschen mit Urlaub. Für dich ist es ein Vollzeitjob. Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Da ist mehr Papierkram als man sich vorstellt. Ich beschäftige mich doch einige Stunden in der Woche damit, E-Mails zu beantworten, meine Social-Media-Kanäle zu pflegen, Touren zu planen und Events zu organisieren. Aber glücklicherweise verbringe ich immer noch die allermeiste Zeit mit dem Training. Ich wohne in der Nähe des Mont Blanc und gehe hier viel auf Klettertouren, um mich auf die großen Besteigungen vorzubereiten.

Wie bist du überhaupt als Ostwestfale zum Bergsteigen gekommen?
Es hat mit Höhenangst begonnen. Und weil mich schon immer die Dinge am meisten fasziniert haben, vor denen ich die größte Angst hatte, bin ich in der Schule einer Kletter-AG beigetreten. Daraus hat sich dann  über Hallenund Outdoor-Klettern mein Beruf als Alpinist Stück für Stück ergeben. 

Du wartest auf gute Karten und dann riskierst du alles!

 

Du bist erst vor wenigen Monaten auf den Denali in Alaska geklettert. Er ist mit 6.190 Metern der höchste Berg Nordamerikas und der kälteste Berg der Welt im Winter. Welcher Berg wird als nächstes von dir bezwungen?
Im kommenden Herbst bzw. Winter werde ich mich erneut am Mount Everest versuchen. Dafür muss ich jetzt auch schon mit den Vorbereitungen beginnen. Aber erst, wenn ich mich vollständig vom Denali erholt habe. Die Dunkelheit und die minus 70 Grad sind noch sehr präsent. 

2015 wurdest du fast von einer Lawine im Himalaya-Gebirge be­graben. 19 Menschen verloren ihr Leben. Du hattest Glück. Hast du keine Angst, dass es dich irgendwann verlässt?
Die Lawine war ein prägendes Ereignis! Zunächst gab es ein Erdbeben und um ehrlich zu sein, habe ich im ersten Moment gedacht: »Wow! Ich habe noch nie ein Erdbeben miterlebt!«. Ich war in einem Basecamp, also in einer riesigen Zeltstadt ohne einstürzende Gebäude – also gefühlt sicher. Dass sich nach einem Erbeben eine Lawine lösen könnte, war mir natürlich bewusst, aber das Basecamp ist so weit weg vom Mount Everest, dass ich mir keine Sorgen machte – bis ich andere Leute habe wegrennen sehen und dann selbst die heranrollende Schneewolke sah. Ich habe mich daraufhin mit zwei Freunden hinter ein kleines Zelt  geworfen (was natürlich keinen Schutz bietet). Dann rollte schon die riesige Lawine über uns hinweg und ich dachte: »Jetzt ist es vorbei!«. Gleichzeitig dachte ich aber auch daran, dass ich mein Leben dann wenigstens richtig gelebt habe und nichts bereue. In diesem Sinne hat mich die Lawine in meinem Bestreben, das Bergsteigen zu meinem Beruf zu machen, bestätigt – denn ich habe vorher mit dem Gedanken gespielt, vielleicht Medizin zu studieren.

Dann rollte schon die riesige Lawine über uns hinweg und ich dachte: Jetzt ist es vorbei!

 

Alle deiner Besteigungen bewältigst du ohne künstlichen Sauerstoff. Ist das nicht riskant?
Als riskant sehe ich das tatsächlich nicht. Ich breche in diese Gefahr ja ganz bewusst auf, um sie zu erleben und sie zu überleben. Ich glaube, dadurch wächst man als Mensch, und das ist es, was Alpinismus ausmacht, der Aufbruch ins Unbekannte! Sonst wäre es ja nur Treppensteigen! Für mich ist Bergsteigen kein Russisch Roulette, sondern ein Pokerspiel. Du wartest auf gute Karten und dann riskierst du alles. Dabei ist das Wort Risiko für mich überhaupt nicht negativ behaftet. Ich weiß, dass ich Risiken eingehen muss, um weiterzukommen.

Würdest du von dir behaupten, dass deine Erfahrungen im Bergsteigen dir das Abschätzen von Alltagsrisiken erleichtern?
Ich denke schon. Bei Trivialrisiken bin ich auf jeden Fall abgehärtet – ich habe keine Angst vor sozialen Peinlichkeiten oder so. Bei anderen Risiken eher nicht, da bin ich genauso anfällig wie jeder andere

Wie verdient man mit dem Bergsteigen eigentlich Geld? Reichen Vorträge und Bücher aus, um deine Besteigungen zu finanzieren?Also ich habe tatsächlich Sponsoren. Zusammen mit
Vorträgen und Büchern reicht das, um mein Leben als Alpinist zu finanzieren. Früher habe ich zusätzlich auch als Guide in Spitzbergen gearbeitet.

Letzte Frage: Besitzt du eigentlich einen Talisman?Nicht wirklich, aber ich trage eine Kette, die ich bei meiner ersten Expedition im Himalaya bekommen habe. Ich lege sie nie ab, außer in der Sauna! Da brennt sie sich sonst in die Haut. (lacht)

Zur Person

Jost Kobusch

Sein Markenzeichen sind Solo-Besteigungen in großen Höhen, darunter Winterbegehungen, neue Routen und unbestiegene Gipfel. Im Alter von 25 Jahren wurde er 2018 für den Piolet d’Or gelistet, der wohl bedeutendsten Auszeichnung für außergewöhnliche Leistungen im extremen Bergsport. 2016 erreichte Kobusch ohne die Zuhilfenahme von künstlichem Sauerstoff den Gipfel der Annapurna (8.091 Meter). Es war Kobuschs erster Gipfelerfolg an einem Achttausender. Er ist damit der jüngste Bergsteiger, der auf diesem Gipfel stand. Jost Kobusch wurde 1992 in Bielefeld geboren und wuchs im nahe gelegenem Borgholzhausen auf. 

 

 
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