Welt Bundesausgabe

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Warnung vor Kollaps der Sozialkassen

Familienunternehmer verlangen von Scholz ein Notfallkonzept wegen untragbarer Beiträge

Angesichts der schwierigen Finanzlage drohen in den Sozialversicherungen sprunghaft steigende Beitragssätze. Die Krankenkassen rechnen schon im kommenden Jahr mit einem Gesamtbeitrag von 42,5 Prozent. Sowohl in der gesetzlichen Krankenversicherung als auch in der Pflegeversicherung sind Beitragsanhebungen nach den Schätzungen der Träger der Sozialversicherungen unumgänglich. Das geplante Rentenpaket der Ampel-Regierung zur Stabilisierung des Rentenniveaus wird dann in der nächsten Legislaturperiode den Sozialbeitrag auf mindestens 44 Prozent treiben. Und in zehn Jahren könnte laut einer Studie des IGES-Instituts für die Krankenkasse DAK der Gesamtbeitrag die 50-Prozent-Marke überschreiten.

Deutschlands Mittelständler schlagen angesichts des drohenden Beitragsschocks Alarm. In einem WELT vorliegenden Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) fordert die Präsidentin der Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann, "ein Notfallkonzept", um die rote Linie der 40 Prozent Lohnzusatzkosten wieder zu unterschreiten. Die Grenze, ab der die Belastungen weder für die Arbeitnehmer noch für die Unternehmen tragbar seien, "ist deutlich überschritten", kritisiert Ostermann: "Die Unternehmen verzweifeln an den Standortbedingungen." Die Vorgängerregierung unter Angela Merkel (CDU) hatte der Wirtschaft die Belastungsgrenze von 40 Prozent über viele Jahre – trotz der schon damals stark Ausgaben treibenden Sozialpolitik – garantiert. Die Ampel-Koalition gab diese Zielmarke jedoch auf. Aktuell zahlen Arbeitnehmer, die keine Kinder unter 25 Jahren zu versorgen haben, zusammen mit ihren Arbeitgebern 41,5 Prozent.

Insgesamt haben die Beitragszahler 2022 laut den Familienunternehmern 620 Milliarden Euro an die Sozialversicherungen gezahlt. Bei einer Steigerung des Beitragssatzes um einen Prozentpunkt würden sich die Zahlungen im kommenden Jahr nach Schätzung des Verbandes um bis zu 18 Milliarden Euro erhöhen. Diese absehbare Zusatzlast dämpft die Chancen, dass die deutsche Wirtschaft die seit über vier Jahren andauernde Flaute bald überwindet. Ostermann warnt, dass bei einer weiter anhaltenden Wachstumsschwäche das nötige Geld fehlen werde für den sozialen Zusammenhalt, die Klimaschutzmaßnahmen, die Digitalisierung oder die Reparatur der verschlissenen Infrastruktur.

Und die Deindustrialisierung Deutschlands schreite bereits flott voran, warnt die Lobbyistin. Tatsächlich wird in Deutschland immer weniger investiert, wie eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. So fließt weit mehr Kapital ins Ausland, als umgekehrt von internationalen Firmen hier investiert wird. 2022 erreichte der Nettoabfluss mit 125 Milliarden Euro ein Rekordniveau. Vor allem die ausländischen Investitionen in Deutschland sind laut IW zuletzt eingebrochen: Während die Abflüsse bei fast 135,5 Milliarden Euro lagen, wurden nur noch rund 10,5 Milliarden Euro in Deutschland investiert. Aktuelle Umfragen bei den Unternehmen deuten darauf hin, dass der Trend zur Produktionsverlagerung deutscher Unternehmen ins Ausland immer stärker wird, während man gleichzeitig die Investitionen in Deutschland zurückfährt. Neben den hohen Energiekosten und der Unsicherheit über die künftige Wirtschaftspolitik setzt auch der Fachkräftemangel der Wirtschaft immer stärker zu.

Entsprechend sorgenvoll blicken vor allem Mittelständler in die Zukunft. Die Familienunternehmer werfen der Ampel vor, "die Arbeitskosten auf ein nahezu prohibitives Niveau" zu treiben und damit auch Personalnöte zu verschärfen. Infolge der steigenden Lohnabzüge würden viele gut ausgebildete Arbeitnehmer mit besonders hohen Sozialabgaben auswandern, prophezeit Ostermann. "Von denen, die hierbleiben, werden immer mehr versuchen, ihren schrumpfenden Nettolohn mit Schwarzarbeit auszugleichen." Damit drohe der Finanzkollaps der sozialen Sicherungssysteme, der insbesondere die Babyboomer treffen werde.

Der Beitrag erschien am 15. August 2024 in der Welt Bundesausgabe auf der S.1.


 
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