Regionalkreis: Niederrhein Düsseldorf

Rückblicke

Empfang im Industrie-Club Düsseldorf

Politikwissenschaftler Herfried Münkler sprach über die kriegerische Entwicklung in der Ukraine und was sie für uns und für Europa bedeutet.

„Was ist eigentlich eine Zeitenwende?“ Professor Herfried Münkler startete seinen Vortrag „Krieg in Europa und was er für uns bedeutet“ mit genau dieser Frage. Der Politologe mit Sinn für sprachliche Feinheiten verdeutlichte vor mehr als hundert Familienunternehmern, dass der von Bundeskanzler Scholz geprägte Begriff „Zeitenwende“ die derzeitige Sachlage nicht umfassend wiedergebe. Er plädierte stattdessen für den Begriff „Zäsur“. Der Professor führte aus: „Zeitenwende impliziert, dass es ein Davor und ein Danach gibt. Zäsur dagegen ist etwas, was wir nicht mögen, eine radikale Veränderung. Zäsur markiert einen Schnitt, eine fundamentale Revision unseres Erfahrungsraums, eine Zerstörung unserer Überzeugungen.“

Bei diesen Überlegungen würden auch Elemente von Selbstkritik mitschwingen, so Professor Münkler. Unsere Grundidee, Konflikte in Kooperationen, bzw. in Win-Win-Situationen zu verwandeln, funktioniere nicht mehr. Der Berliner Professor führte aus: „Unser bisheriger Erwartungshorizont war das Wir. Jetzt ist auf einmal Putin die beherrschende Gestalt und alles ist anders.“ Deutschland müsse sich eingestehen, dass die Strategie ‚Wandel durch Handel‘ nicht aufgehe. Professor Münkler bilanzierte: „Militärische Macht gewinnt wieder an Bedeutung, trotz ihrer destruktiven Kraft. Sie kann Tatsachen schaffen – und zwar mit schneller Wirksamkeit. Wirtschaftliche Macht wirkt nach einem anderen Zeithorizont - nämlich weit langsamer.“

Aber eine neue Weltordnung brauche auch Vertrauen und Glaubwürdigkeit, meinte der Politikwissenschaftler und erklärte: „Derzeit beobachten wir ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Verträgen und Regeln.“ Die Ukrainer seien schwer enttäuscht, dass sie nicht in ihrem Sinne unterstützt werden, zum Beispiel mit der Einrichtung einer Flugverbotszone. Und was denken die Polen? Die Bewohner der baltischen Länder? Fühlen sie sich sicher?

Eines sei klar: „Die Europäer werden bei der Gestaltung der neuen Weltordnung stärker als bisher auf militärische Stärke setzen“, stellte der Experte leicht resigniert fest. Dabei glaubt er, dass man den Krieg mit einem strategischen Schachzug eigentlich hätte verhindern können: Man hätte einige Atomwaffen dem Kommando des ukrainischen Präsidenten unterstellen müssen, der im Fall eines Angriffs mit einem Gegenangriff hätte drohen können. Doch auf solche Szenarien würden sich die Europäer mit ihren postheroischen Gesellschaften nicht einlassen.

Dem Vortrag vorausgegangen war eine Begrüßungsrede von Marco van der Meer, Regionalvorstand von DIE FAMILIENUNTERNEHMER Niederrhein Düsseldorf. Van der Meer wies darauf hin, dass der Krieg Verunsicherung auslöse – gerade auch in Kombination mit der sehr hohen Inflation und den stark gestiegenen Energiepreisen. Er fuhr fort: „Wir sind zum Zuschauen einer menschlichen Katastrophe verurteilt und sollten in erster Linie der Bevölkerung helfen.“

Herfried Münkler, geboren 1951, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Werke gelten als Standardwerke, etwa “Die neuen Kriege” (2002), “Imperien” (2005), “Die Deutschen und ihre Mythen” (2009), das mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, sowie “Der Große Krieg” (2013) und “Der Dreißigjährige Krieg” (2017), die beide auf der “Spiegel”-Bestsellerliste standen.
Nahezu alle deutschsprachigen Leitmedien veröffentlichten seine wissenschaftlich fundierte Stellungnahme zum aktuellen Ukraine-Krieg.

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