Autark macht stark

Autark macht stark

Eisleben ist stolz auf seinen Sohn Martin Luther. Dabei müsste die Stadt kein halbes Jahrtausend zurückblicken, um ein Alleinstellungsmerkmal zu finden. Denn in Eisleben sitzt einer der wenigen deutschen Hersteller von Lederwaren: Die ET blue chip GmbH

Die ET blue chip GmbH produziert für das Who-is-Who der Luxusgüterindustrie und zählt noble Automarken zu ihren Kunden. Daneben nimmt sich das Unternehmen die Freiheit, kreativen Gründern unter die Arme zu greifen. Gegründet wurde es von selbstbewussten Frauen, die den Untergang der DDR als Chance auf wirtschaftliche Freiheit begriffen.  Eine Allee aus Obstbäumen, Felder, ein Weiher und dann wie aus dem Nichts eine Werkhalle: Gewerbegebiete wirken oft, als seien Ufos gelandet. Besonders deutlich wird dieser Eindruck in Eislebens Industriestraße 1, an deren Tor „ET blue chip GmbH“ steht. Auf den Klassiker „E.T. – Der Außerirdische“ angesprochen lacht Stefanie Reinboth herzlich. „Diese Assoziation hat 1996 unsere Namensidee gerettet“, bekundet die Mitgründerin des Unternehmens. „Euro Trade“ habe die Firma heißen sollen. Das fand die Industrie- und Handelskammer zu ambitioniert und lehnte ab. „Die Abkürzung ET ließen wir trotzdem ins Handelsregister eintragen. Den Film kannte jeder und so blieben wir potenziellen Kunden im Gedächtnis.“
Vom DDR-Kombinat ins Unternehmertum Für Stefanie Reinboth glich die Gründung einem Befreiungsschlag. In den 80er-Jahren hatte die studierte Wirtschaftsjuristin in der Lederwarenfabrik Sangerhausen gearbeitet – „theoretisch als Justiziarin“, wie sie sagt. Praktisch habe sich ihre Aufgabe überwiegend darauf beschränkt, Kostbarkeiten wie Druckknöpfe und Nähgarn zu besorgen. „Sogar um gestanzte Etiketten musste ich kämpfen“, erinnert sich Stefanie Reinboth. Nach dem Ende der DDR rettete sie gemeinsam mit drei Kollegen einen Teil der Fabrik in die Markwirtschaft. Aber das Team harmonierte nicht, die Unstimmigkeiten nahmen zu und ließen sechs Jahre später nur zwei Möglichkeiten übrig: gehen oder verbittern. „Wer jemals selbständig gearbeitet hat, weiß, wie viel Kraft das kostet“, sagt die 59-Jährige. „Ohne Freude und Überzeugung hält das keiner lange durch.“ Den Ausweg fand sie mit Heidrun Fröhlich, einer Freundin aus Schultagen. „Zu Heidrun hatte ich immer Vertrauen, und als sie mir anbot, in einer gemeinsamen GmbH die Buchhaltung zu übernehmen, war das für mich das Signal zum Neubeginn.“ Fröhlich führte damals mit ihrem Partner ein Bestattungshaus und räumte Stefanie Reinboth einen Teil ihres Schreibtischs frei. „Wir haben aus der sprichwörtlichen Garage heraus Geschenkartikel verkauft“, erinnert sich Heidrun Fröhlich an die Anfänge. „Unter anderem hatten wir Gartenzwerge im Sortiment, obwohl ich die ganz scheußlich finde.“

Wir sind frei in unseren Entscheidungen. Auch das entlohnt für harte Arbeit.

 
Von der ersten Maschine zum dritten Werk Gipsgnome und Kuckucksuhren nach Amerika zu verticken, reichte nicht als Geschäftsmodell. Nach wenigen Monaten folgte deshalb der nächste Schritt zur unternehmerischen Freiheit. „Schon als Justiziarin im DDR-Betrieb war ich fasziniert vom Werkstoff Leder und seiner Verarbeitung“, sagt Stefanie Reinboth. „Mein Wissen ging über bloße Einblicke hinaus. Darauf konnten wir aufbauen.“ Aus der Konkursmasse eines tschechischen Betriebs besorgten sich Fröhlich und Reinboth eine Ledernähmaschine und eine Stanze. Dann nahmen die Unternehmerinnen zwei Näherinnen unter Vertrag und stiegen ins Lederwarengeschäft ein. Die ET blue chip machte sich auf diese Weise unabhängig von Produzenten und sicherte sich mit Qualität Made in Germany wachsenden Erfolg. Von der Garage zog die Firma in die erste Werkhalle und von dort über mehrere Stationen auf das eigene Gelände in der Industriestraße 1. Heute unterhält die ET blue chip ein Tochterwerk im nahen Helbra und ein weiteres in der Slowakei. Insgesamt sind im Unternehmen 50 Menschen beschäftigt, darunter auch die Töchter der Gründerinnen. Dina Fröhlich verantwortet den Einkauf. Und Tina Reinboth ist schon als Teenager in den Betrieb hineingewachsen.
Taschen, Schürzen, Jagdscheinhüllen Machte sich Tina Reinboth anfangs als Mädchen für alles nützlich, entscheidet sie heute als Co-Geschäftsführerin über die Projekte mit. „In aller Regel kommen Auftraggeber auf uns zu, die ein Höchstmaß an Qualität in relativ geringer Stückzahl erwarten“, sagt die 40-Jährige. „Wir selbst streben dabei eine gesunde Vielfalt an, um Abhängigkeiten von einer Branche oder wenigen Großkunden zu vermeiden.“ Die ET blue chip stellt unter anderem Taschen und Accessoires für Modemarken her, deren klingende Namen nicht genannt werden dürfen. Auch die Hüllen edler Füllfederhalter, Hussen für die Sitze von Luxusautos, Fototaschen und die Schürzen eines bekannten sächsischen Bierbrauers kommen aus Eisleben. Daneben gilt es die Eigenmarke Avecio zu pflegen und so manchen Auftrag zu erfüllen, der an die eigenen ersten Schritte im Lederwarengeschäft erinnert. „Oft versuchen Gründer, uns von ihren Ideen zu überzeugen“, berichtet Tina Reinboth. „In eine Partnerschaft willigen wir gerne ein, wenn die Vorüberlegungen zu Design und Vertrieb stimmen und wenn es zwischenmenschlich passt.“ In der Regel geht die ET blue chip dabei in Vorleistung, weil die gemeinsame Produktentwicklung Kapazitäten bindet. Ein Beispiel dafür, das Muster eines Patronenhalters, liegt auf einem der Arbeitstische im hinteren Bereich des Werks. „Wir arbeiten an einer Kollektion, die zwei Jägerinnen gemeinsam mit uns auf den Markt bringen wollen“, erläutert Tina Reinboth. Die beiden Gründerinnen hätten eine echte Nische entdeckt: Gewehrdecken, Jagdscheinhüllen und Accessoires für die jagdbegeisterte Frau.
Freier Wille wichtiger als Reichtum Während sich Tina Reinboth über den Patronenhalter beugt, zeigt Mutter Stefanie auf ihrem Smartphone Fotos von Produkten des Hauses. Zu sehen sind unter anderem Stühle, deren Stückpreis in den Designergeschäften von Düsseldorf über Paris bis New York bei mehreren Tausend Euro liegt. „Manchmal fühlt es sich merkwürdig an, Dinge herzustellen, die wir uns privat nicht leisten könnten“, bekennt Stefanie Reinboth. Der Großteil der Marge bleibe bei den Auftraggebern. Aber so lange die ET blue chip finanziell gut dastehe und wie gewohnt pünktlich die Gehälter überweisen könne, sei das kein Grund für schlaflose Nächte. „Meine Tochter, Heidrun Fröhlich und ich sind unsere eigenen Vorgesetzten“, so Stefanie Reinboth. „Wir sind frei in unseren Entscheidungen. Auch das entlohnt für harte Arbeit.“   

Zu den Personen

Stefanie Reinboth

wurde am 16. August 1958 in der ehemaligen DDR in Lutherstadt Eisleben geboren. Sie studierte Rechtswissenschaften und machte einen Abschluss als Diplom-Juristin. Das Unternehmen gründete Heidrun Fröhlich 1996.

 

Das Unternehmen

ET blue chip GmbH

Branche: Lederwarenindustrie Gründungsjahr: 1996 Mitarbeiter: 45 (25 in Deutschland, 20 in der Slowakei) Umsatz: ca. 4,5 Mio. Euro

 

Tina Reinboth

kam 1978 in Lutherstadt Eisleben zur Welt. Sie studierte Handelsmanagement an der Berufsakademie in Plauen und schloss das Studium als Betriebswirtin ab. Heute lenkt sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Heidrun Fröhlich die Geschicke ihres Unternehmens.

 

 
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