Der Himmel über Neukölln - ein Hotel wächst über sich hinaus
Der Himmel über Neukölln - ein Hotel wächst über sich hinaus
Die S-Bahn an der Berliner Sonnenallee: Für Mitte-Hipster und Kreuzberg-Touristen liegt hier die Grenze zur Terra incognita. Nicht so für Maxim Strelitzki. Der 33-jährige Hotelier nimmt von Kindheit an die entgegengesetzte Perspektive ein. Denn in den 90er-Jahren ließ sein Vater Ekkehard jenseits der Gleise ein Vier-Sterne-Hotel errichten, das Estrel. „Von der A 100 bis zur Tiefgarage braucht man im Auto fünf Minuten“, so Maxim Strelitzki. „Vom Flughafen dauert die Anreise mit den Öffentlichen kaum mehr als eine halbe Stunde und gleich nebenan fährt die Ringbahn.“ Vis-a-vis entsteht mit dem Estrel-Tower Berlins höchstes Gebäude nach dem Fernsehturm. Für die Bauherren bilden die beiden Hotelkomplexe künftig das „Tor zur Stadt“.
Darüber hinaus lasse sich das Estrel nicht auf den Hotelbetrieb reduzieren. Vielmehr seien die gut 1.100 Zimmer ein Puzzleteil im Gesamtkonzept. „Bei uns übernachten überwiegend die Teilnehmer von Großveranstaltungen, von der Führungskräftetagung über den Ärztekongress bis zur Box-Gala“, so Maxim Streletzki. Statt in Shuttles quer durch die Stadt gekarrt zu werden, schlendern die Gäste vom Frühstückstisch direkt ins Estrel Conference Center. Auch die Shows und Musicals, für die das Estrel überregional wirbt, finden nur einen Steinwurf entfernt statt. Wie das Hotel und die Konferenzsäle liegt das Estrel Showtheater am Neuköllner Schiffahrtskanal. In der ehemaligen Fabrikhalle treten „Stars in Concert“ auf. Seit einem Vierteljahrhundert ziehen die Doppelgänger von Tina Turner, Abba oder Elvis Fans an, die als Hotelgäste für zusätzlichen Umsatz sorgen. „Genauso kommt uns entgegen, dass auf der anderen Kanalseite ein Hochschul-Campus entsteht“, ergänzt Maxim Streletzki. „Das wird die Gegend verjüngen und weiter beleben.“
Zwischen den Anzug- beziehungsweise Kostümträgern im Foyer wirkt der Miteigentümer des Estrel auf den ersten Blick selbst wie ein Student: legeres Freizeithemd, Rucksack auf dem Rücken, ein silberner Armreif am Handgelenk und kein Gramm Fett am Körper. Auf dem Weg zum Konferenzzentrum wechselt Maxim Streletzki das eine oder andere Wort mit Mitarbeitern und umarmt plötzlich einen älteren Herrn im karierten Tweed-Jackett. „Guten Morgen, Papa, kommst du ein Stück mit?“ „Wenn ich darf“, reagiert Ekkehard Streletzki und lächelt bescheiden. Der Hotelgründer lässt es sich nicht nehmen, an diesem Morgen persönlich auf ein paar Finessen des Estrel Conference Center hinzuweisen: auf das Beleuchtungssystem, das sich auf Wunsch farblich anpassen lässt, auf den modularen Aufbau der Hallen, auf die Materialien, die einen ganz anderen Eindruck hinterlassen als ein x-beliebiges Messegelände. „Ich wollte immer etwas Eigenes machen“, antwortet der 83-Jährige auf die Frage, ob er mit seinen Ideen die Grenzen des Hotelwesens verschoben habe. „Als Ingenieur und ohne die Rückendeckung einer Kette ein so großes Hotel zu eröffnen, war sicher eine Grenzüberschreitung. Das kann man auch nach bald 30 Jahren noch so sagen.
Wir machen es Leuten, die ein illegitimes Interesse an leicht entzündlichen Materialien haben, bewusst so schwer wie möglich.
Von Hotel, Showtheater und Konferenzzentrum wird künftig ein direkter Weg auch zum Estrel-Tower führen, eventuell sogar ein Laufband wie an einem Flughafen. Statt ungehindert unter der Sonnenallee hindurch zu gehen muss man derzeit noch an Fußgängerampeln warten – Gelegenheit, den Blick nach oben zu richten. Schon jetzt überragt der Turm seine Umgebung. Dabei steht von den 45 geplanten Stockwerken erst ein Drittel. Für Berlin sprengt dieses Gebäude in gleich mehrfacher Hinsicht Grenzen. Die Stadt ist stolz auf ihre eigene, auf die „Berliner Traufhöhe“ von 1853. Sie legt fest, dass die Dachrinne zumindest von Wohngebäuden maximal 22 Meter über dem Boden angebracht werden soll. Zwar ließ sich dieses Ideal nach dem Krieg nicht aufrechterhalten, was zahlreiche Plattenbausiedlungen in Ost wie West belegen. Dennoch wird von Geschäftsgebäuden in der Regel erwartet, dass sie sich ducken. Deshalb ist nicht einmal ein halbes Prozent aller Gebäude in Berlin höher als 35 Meter. Und nun entsteht unweit der S-Bahn-Station Sonnenallee mit 176 Metern dieser Wolkenkratzer. „Von der Idee zum ersten Spatenstich hat es acht Jahre gedauert“, sagt Maxim Streletzki, der bis 2018 umgeben von Wolkenkratzern in New York gelebt hat. „Mein Vater musste sehr beharrlich Überzeugungsarbeit leisten.“
Der Estrel-Tower könne für Neukölln ein Publikumsmagnet werden, zeigt sich Maxim Streletzki überzeugt, während der Außenaufzug am Rohbau entlangruckelt. Von oben bietet sich an diesem sonnigen Vormittag eine fantastische Sicht über die gesamte Stadt. Und sobald die begrünte Dachterrasse eröffnet, werden Café-Besucher mit einem Cappuccino oder Sekt in der Hand über die Grenzen bis nach Brandenburg blicken können. 2025 soll der Tower, in den die Familie bis zu 250 Millionen Euro investiert, fertig werden. Danach stehen dem Estrel weitere 525 Zimmer und Mietern 9.000 qm Gewerbefläche zur Verfügung. Überschreitet dieser Plan angesichts der Krise im Baugewerbe und angesichts düsterer Aussichten für den Standort Deutschland die Grenzen des Optimismus? „Wir sind überzeugt davon, dass auch die gegenwärtige Rezession vorübergeht“, erwidert Maxim Streletzki und zeigt auf eine riesige Fläche neben dem Tower: „Dort unten soll ein Erweiterungsbau für das Kongresszentrums entstehen. Wir glauben an Berlin, und trotz seiner vermeintlichen Randlage bleibt Neukölln genau der richtige Standort für uns.“
Zur Person
MAXIM STRELETZKI
Maxim Streletzki hat Film studiert und in Babelsberg gearbeitet, bevor er umsattelte. Er schloss ein Studium des Hospitality Management ab und stieg ins Familienunternehmen ein.
Das Unternehmen
ESTREL HOTEL-BETRIEBS-GMBH
Branche: Hotelwesen, Events
Gründungsjahre: 1994
Mitarbeiterzahl: Rund 550 und 70 Azubis
Umsatz: bis zu 90 Millionen Euro