Einmal Enteignung und zurück
Einmal Enteignung und zurück
"Oma hat manchmal angedeutet, dass Opa traurig ist", sagt Ines Rathmann und bringt das Kunststück fertig, die Stirn zu runzeln und gleichzeitig zu lächeln. "Er selbst hat aber nie über diese Sache gesprochen." Diese Sache – das ist die Enteignung der Firma Roland Holl Markleeberg, Markenname ROHMA, im Jahr 1972. Ines Rathmanns Großvater hatte sich drei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg selbständig gemacht. Mit zwei Mitarbeitern stellte Roland Holl Öfen und Ofenrohre her. Die Nachfrage war gewaltig, und dem gelernten Kaufmann gelang es trotz aller Widrigkeiten, Material und Maschinen aufzutreiben. "Mein Opa konnte gut auf Menschen zugehen und arrangierte sich auch irgendwie mit den Funktionären." Roland Holls Unternehmen wuchs und hatte zu Beginn der 1970er-Jahre rund 50 Mitarbeiter. Doch am 8. Februar 1972 setzte die SED dem kapitalistischen Treiben ein sozialistisches Ende. Das Politbüro beschloss, die bisher verschont gebliebenen kleinen und mittleren Privatunternehmen zu verstaatlichen. So wie mehr als 11.000 weitere Unternehmer musste Roland Holl seinen Betrieb "freiwillig" an den Arbeiter- und Bauernstaat abtreten,
und ROHMA ging im VEB Isolierung Zwenkau auf. Der ehemalige Eigentümer durfte als Direktor bleiben, warf aber einige Monate später das Handtuch. Auch Holls Tochter, die für die Finanzbuchhaltung verantwortlich war, zog sich zurück. Bis zum Ende der DDR arbeitete Christiane Machleidt in einem Baubetrieb.
Meine Mutter entschied 1990 resolut und aus dem Bauch heraus, Opas Firma zurückzuholen.
Ines Rathmann war fünf Jahre alt, als Roland Holl über Nacht sein Lebenswerk verlor, und 17, als er starb. "Als Kind habe ich diese Vorgänge nicht hinterfragt und heute bedauere ich, meinen Opa nie darauf angesprochen zu haben." Eine Ausreise in den Westen sei keine Option gewesen, denn dafür hätte man die Freunde und die sächsische Heimat aufgeben müssen. Wie Millionen anderer fand sich die Familie mit einem Leben in der DDR ab, und das hieß unter anderem: Während die Schülerin Ines im Staatsbürgerkundeunterricht lernte, welche Errungenschaft das Volkseigentum sei, war das Thema Politik zuhause tabu. "Viele Eltern vermieden es, die Regierung vor ihren Kindern zu kritisieren", erläutert die heute 55-Jährige. "Hätte ich mich verplappert, wäre es für alle sehr unangenehm geworden – auch für mich selbst." Stattdessen durfte die junge Frau Abitur machen und Bauingenieurin werden. Der Beginn ihres Studiums fiel in die Periode von Glasnost und Perestroika. Als sie ihr Diplom in den Händen hielt, war die SED-Diktatur Geschichte.
"Meine Mutter entschied 1990 resolut und aus dem Bauch heraus, Opas Firma zurückzuholen", erinnert sich Ines Rathmann. Christiane Machleidt handelte mit der Treuhand einen Preis aus und kaufte das Grundstück, auf dem Roland Holl einst den Metallbetrieb aufgebaut hatte. "Alles war heruntergekommen und meine Mutter war in der ersten Zeit oft der Verzweiflung nahe", so Ines Rathmann. Aber Christiane Machleidt biss sich durch, indem sie auf das richtige Produkt setzte: Schornsteinrohre für die Gebäudesanierung. Und sie ließ sich auch nicht von etablierten Konkurrenten vom Weg abbringen. "Was rackern Sie denn so?", habe ein Unternehmer aus Westdeutschland die Mutter gefragt. "Das bisschen Osten decken wir locker ab."
Ich möchte ein prosperierendes Unternehmen übergeben und es motiviert mich ungemein, dass mein Zweitgeborener Interesse bekundet hat.
Die junge Bauingenieurin Ines Rathmann sammelte derweil Berufserfahrung in einem Statikbüro, wo neben ihrem Schreibtisch das Laufgitter für ihre Erstgeborene stand. "Meine Mutter und ich dachten damals noch nicht daran, dass ich bei Holl mitarbeiten könnte." Und das sei auch gut so gewesen: "Ich habe als Angestellte viel gelernt und bin heute noch überzeugt, dass potenzielle Chefs zunächst einmal selbst einem Chef folgen sollten." Erst als die Banken Christiane Machleidt baten, sich um die Nachfolge zu kümmern, begannen Gespräche über einen Einstieg der Tochter. 1993 war es so weit: Ines Rathmann wurde Co-Geschäftsführerin. Im Jahr 2000 ging Christiane Machleidt in Rente.
Die Schornsteinrohre der Nachwendejahre bilden nur noch einen Bruchteil des Portfolios. Die Holl GmbH verdient ihr Geld seit 25 Jahren vor allem mit Bauteilen für Maschinenbau und Medizintechnik sowie mit Einzelfertigungen für Werbetreibende und Künstler. Die Stückzahlen, die per Laserschnitt gefertigt werden, liegen zwischen 1 und 10.000 und damit in einer Nische, in die Billigkonkurrenten in Asien kaum vorstoßen können. Die Werkhalle, in der mehrere hochpreisige Maschinen stehen, ist 2009 während der Finanzkrise entstanden. "Wir haben die Flaute genutzt und nach vorne geschaut«, so die Unternehmerin. Schließlich gehe es in einem Familienunternehmen immer um die Langzeitperspektive. "Ich möchte ein prosperierendes Unternehmen übergeben und es motiviert mich ungemein, dass mein Zweitgeborener Interesse bekundet hat." Tim Rathmann arbeitet bei einem Autozulieferbetrieb in China. Zwar fühle sich der 29-Jährige wohl dort, wolle aber in absehbarer Zeit heimkehren. "Tim erlebt, dass er seine Ideen als angestellter Maschinenbauingenieur nicht so umsetzen kann, wie er sich das vorstellt", so Ines Rathmann. "Das funktioniert nun einmal am besten, wenn einem der Betrieb selbst gehört."
Zur Person
Ines Rathmann
bescheinigt sich und ihrer Familie eine positive Grundeinstellung. "Nur wenn Sie optimistisch in die Zukunft blicken, tun Sie sich den Hickhack mit der Bürokratie und die Dauerkrisen der Gegenwart an."
Das Unternehmen
HOLL GMBH
Branche: Metallverarbeitung Gründungsjahr: 1948 und 1990 Mitarbeiter: 40 Umsatz: vier Millionen Euro