Mehr Sein als Schein

Mehr Sein als Schein

Revolutionen? Das mag die Wirtschaftspresse in Augmented Reality und 3D-Druck sehen. Für Henning Fehrmann gehören diese Technologien zum Alltag. Begegnung mit einem Unternehmer, der „immer mindestens ein Jahr in der Zukunft“ lebt.

Das kostet Zeit - und Zeit ist auf dem Meer nicht nur Geld, sondern kann zwischen Leben und Tod entscheiden.

 

Die See tost im Sturm, von der Schiffsbrücke aus lässt sich kaum mehr erkennen als Gischt. Trotzdem behält der Kapitän den Überblick: Eine Augmented-Reality-Lösung aus Hamburg projiziert Details der Umgebung auf die Fenster. „Unsere Technologie übermittelt in Sekundenbruchteilen, wo beispielsweise Untiefen liegen, ob sich ein Schiff auf Kollisionskurs befindet oder ob Menschen über Bord gegangen sind“, sagt Henning Fehrmann, Geschäftsführender Gesellschafter der Fehrmann GmbH. Auf einer herkömmlichen Brücke hingegen gebe die Besatzung mündlich weiter, was sie auf Monitoren beobachtet. „Das kostet Zeit – und Zeit ist auf dem Meer nicht nur Geld, sondern kann zwischen Leben und Tod entscheiden.“.

Was Henning Fehrmann skizziert, ist eine Vision mit Marktreife. „Bei den kostensensiblen Reedereien wird sich die Technik über kurz oder lang durchsetzen“, ist der Diplom-Ingenieur überzeugt. Sein Kalkül: Entfallen die Monitore, lassen sich kleinere Schiffsbrücken konzipieren und der gewonnene Platz anderweitig nutzen. Außerdem sind die Fenster bruchsicher. Somit schützen sie vor Monsterwellen, die laut Wissenschaft ein höheres Risiko darstellen als lange angenommen.  Und die Fehrmann GmbH sieht auch jenseits der Schifffahrt Einsatzbereiche für ihre Lösung. Bei einem chirurgischen Eingriff beispielsweise könnte eine bewegliche Augmented-Reality-Glasscheibe den Operateur besser unterstützen als eine Augmented-Reality-Brille. „In der Öffentlichkeit gelten diese Brillen als wahre Revolution“, so der Unternehmer. „Wir hingegen glauben nicht daran, unter anderem weil die Gestelle niemals bequem auf der Nase sitzen werden.“ Zudem stünden viele Menschen dieser Neuerung skeptisch gegenüber. Wer wolle sich schon ungefragt durchleuchten lassen? 

Unsere Themen ziehen die Besten an, deshalb mache ich mir um den Fachkräftemangel keine Sorgen.

 

Henning Fehrmanns nach hinten gekämmte Mähne weckt Assoziationen zu einem außerordentlich berühmten Physiker des 20. Jahrhunderts. Auch die geduldige Begeisterung, mit der er technologische Details erläutert, lässt eher einen Institutsdirektor vermuten als einen hanseatischen Unternehmer. Und tatsächlich betrachtet Henning Fehrmann seine Firma als Bindeglied zwischen Forschung und Markt. „Mit 40 Prozent vom Umsatz liegt unsere Forschungsquote mehr als das Zehnfache über dem deutschen Durchschnitt“, sagt der Ingenieur. „Zugleich bringen wir die industrielle Anwendungserfahrung einer 127 Jahre alten Gießerei und Schlosserei mit.“ Konkret heißt das: Die Fehrmann GmbH entwickelt mit insgesamt neun namhaften Forschungsinstituten High-Tech-Fenster sowie leistungsstarke Aluminium-Legierungen. Die Patente werden anschließend für Lizenz-Produkte genutzt statt – wie in Deutschland vielfach beklagt – so lange im Dornröschenschlaf zu versinken, bis eine amerikanische oder chinesische Firma sie wachküsst. „In unserer alten Fertigungshalle können wir jedem Skeptiker beweisen, dass sich unsere neuen Materialien ohne besondere Vorkehrungen einsetzen lassen“, sagt Henning Fehrmann. Zu den Lizenznehmern der Firma gehören unter anderem Fahrzeughersteller: Widerstandsfähiges und dennoch dehnbares Aluminium ersetzt Stahl. Die Bauteile werden leichter und damit sinkt der Kraftstoff- beziehungsweise Strombedarf.

Besonders stolz ist Henning Fehrmann auf die Legierungsfamilie AlMgty. Der gleichermaßen einprägsame wie liebenswert verschrobene Name enthält die Symbole für Aluminium und Magnesium, lässt sich aber auch als „almighty“ lesen. Weltweit einmalig: Mit dem „allmächtigen“ Material können die Kunden der Fehrmann GmbH ihre Bauteile sowohl konventionell gießen als auch im 3D-Drucker herstellen. Das bringt enorme Vorteile mit sich. Prototypen lassen sich am Computer digital entwerfen und innerhalb weniger Stunden drucken. Passt alles, kann die Serienproduktion im Gussverfahren beginnen. Die Hersteller beschleunigen so ihre Produktentwicklung und sparen viel Geld, ohne sich bei der kostenoptimierten Serienproduktion einzuschränken. Zudem kann der 3D-Druck Lieferengpässe ausgleichen. Fehlen beispielsweise Ersatzteile, kommt der Drucker zum Einsatz. Und nicht zuletzt spart der 3D-Druck Lagerkapazitäten. Produziert wird auf Nachfrage, nicht auf Halde.

Es wäre ein Leichtes, Henning Fehrmann und seinen „Taubenschlag kreativer Köpfe“, wie er seine Firma nennt, als Revolutionäre zu beschreiben. Doch der Unternehmer winkt ab: Das sähen nur Außenstehende so. „Ich lebe immer mindestens ein Jahr in der Zukunft. Das ist mein Job. Und was meine Mitarbeiter und ich in dieser Zukunft sehen und erleben, bewerten wir und setzen das Beste davon um.“ Zu diesem Understatement passt die Umgebung. Die Büros und die Fertigungshalle erinnern eher an eine Werkstatt als an einen High-Tech-Partner von Schlüsselindustrien. „Wir haben seit dem Jahr 2000 keinen Euro mehr in unsere Anlagen investiert“, bestätigt Henning Fehrmann schmunzelnd. Das Geld stecke im Know-how. Außerdem arbeiten bei Fehrmann überdurchschnittlich viele Ingenieure, Physiker und Mathematiker – Personal, dessen Kompetenz sich auch andere Unternehmen gerne etwas kosten lassen würden. „Unsere Themen ziehen die Besten an, deshalb macht mir der Fachkräftemangel keine Sorgen“, sagt Henning Fehrmann stolz. Und so fällt am Ende doch noch ein zweifellos revolutionärer Satz.

 

Zur Person

Henning Fehrmann

betrachtet sein Unternehmen als Brücke, die Forschung und Markt verbindet. "Wir sind ein Entwickler mit angeschlossener Produktion."

 

Das Unternehmen

FEHRMANN GmbH

Branche: Materialentwicklung, Leichtmetallguss, Schiffsausrüstung

Gründungsjahr: 1895

Mitarbeiter: rund 50

 

 
Partner
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