Porzellan 4.0

Porzellan 4.0

Die Sonne funkelt an diesem Morgen auf den sich über 20 Hektar ausbreitenden Solar- Panelen im saarländischen Überherrn. Mittendrin: Wendelin von Boch-Galhau (73), Mitglied einer der ältesten Industriestämme Deutschlands. „Villeroy & Boch“- Porzellan nennt wohl jeder im Laufe seines Lebens sein Eigen – ob in der Küche oder im Badezimmer.

Wendelin von Boch ist unweit auf einem Hof aufgewachsen, der jetzt das familieneigene Hotel beheimatet. Meine Familie hat schon immer auf Land- und Forstwirtschaft als zweites Standbein gesetzt, so von Boch. Er verbreitet eine Frische, die es durchaus mit dem kühlen Wind aufnehmen kann, der zwischen den sich scheinbar endlos in die Ferne ausbreitenden Kollektoren und durch die von Boch´sche Frisur weht. Was den uneitlen Mann allerdings nicht weiter interessiert. Ihm ist wichtiger, die grüne Energie zu preisen, die hier auf dem Land seiner Ahnen die Region mit Öko-Strom versorgt. Doch dreiste Kabel-Diebe vermiesten kürzlich nicht nur den Ertrag der Anlagen. Von Boch deutet mit betrübter Miene auf den beschädigten Zaun hinter sich: Ende letzten Jahres hat eine Bande hier eine große Menge Kabel gestohlen und die Anlage damit einen Monat unbrauchbar gemacht. Seitdem wird hier alles mit Kameras überwacht. Obwohl der Materialwert nur einige tausend Euro betrug – den Schaden an der Anlage beziffert von Boch auf 100.000 Euro. Und die Diebe? Entkommen. Es wird vermutet, dass sie nach der Tat nach Frankreich geflüchtet sind. Von hier sind es ja nur wenige Kilometer zur Grenze

Zusammenführung der Familien

Was bei der Verfolgung der Diebe hinderlich war, erwies sich vor über 150 Jahren als Segen für die vorher konkurrierenden Unternehmerfamilien Villeroy und Boch. Denn 1836 taten sie sich am Stammsitz der Bochs in Mettlach zunächst unternehmerisch zusammen und krönten die Fusion schließlich mit einer Liebesheirat zwischen den beiden Stämmen. Die einzigartige Lage im Herzen Europas, im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Deutschland, eröffnete dem Unternehmen gleich zwei große Märkte, bevor Villeroy & Boch auch europaweit bekannt wurde. Das Schonen von Ressourcen ist für von Boch jedoch nicht nur Privatvergnügen. Auch in der energieintensiven Produktion bei Villeroy & Boch, wo er von 1998 bis 2007 in 8. Generation dem Vorstand vorsaß und seitdem im Aufsichtsrat die Geschicke des ältesten noch bestehenden Familienunternehmens überwacht, nahm er sich dem Thema an. Früh hat von Boch auf effizientere Brennöfen gesetzt und mit dafür gesorgt, dass der immense Wasserverbrauch der Fabriken durch Wiederaufbereitung gesenkt wurde.

Zukunftsweisende Innovationen

Nicht die einzige Innovation, die dem Unternehmen seit der Gründung durch François Boch im Jahre 1748 das Überleben sicherte: Schon die ersten Dekors des Unternehmens waren spülmaschinenfest – was damals noch keine Rolle spielte, sollte über 200 Jahre später ein riesiger Wettbewerbsvorteil sein. Die zweite große Idee der Bochs war ein 100 Meter langer Tunnelofen,der nicht mehr mit Holz, sondern mit Kohle befeuert wurde. Und die gab es hier ausreichend, erklärt von Boch. Ein weiterer Grund für die Entscheidung seiner Vorfahren, Produktion und Wohnsitz von Lothringen nach Mettlach an der Saar zu verlegen, wo das Unternehmen inzwischen 50 Prozent der bebauten Fläche beansprucht.

Mettlach 2.0 

Doch der Standort fern von großen Metropolen stellt das Unternehmen heute vor Herausforderungen. Denn den Fachkräftemangel bekommt auch Villeroy & Boch zu spüren. Das Projekt Mettlach 2.0 soll zumindest teilweise Abhilfe schaffen: Alte Fabrikgebäude werden abgerissen, moderne Büros entstehen in historischen Gemäuern und bald sollen die Mitarbeiter  rund um den firmeneigenen Weiher im Grünen arbeiten können. Dieses Mitarbeiter-Wellnessprogramm mit zusätzlichen Shopping-Angeboten für Anwohner und Touristen kostet in den nächsten Jahren 20 Millionen Euro. Ob sich der IT-Nachwuchs, den das Unternehmen am dringendsten braucht, allerdings allein mit frischer Luft und zauberhaften Natur-Panoramen locken lässt?Diese jungen Leute zu gewinnen, das ist tatsächlich eine Herausforderung für uns. Noch zieht die Marke genügend Fachkräfte an, aber das wird auf uns zu kommen. Das zeichnet sich schon jetzt bei uns in der Mitarbeiter-Demografie ab, räumt von Boch ein.

Keine Versorgungseinrichtung für Familienmitglieder

Für Wendelin von Boch ist das Saarland schon immer Lebensmittelpunkt gewesen. Ich wurde quasi in meinem späteren Vorstands-Büro geboren, verrät von Boch. Die Alte Abtei dient dem Unternehmen nach dem Umzug der Familie als Zentrale. Die Geburt in die Porzellan-Dynastie bedeutete jedoch nicht, dass damit der Weg in den Vorstand geebnet war. Es war mir nicht in die Wiege gelegt. Es gab andere Optionen. Ich wurde an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in St. Gallen ausgebildet. Meine Schwerpunkte waren Marketing und Vertrieb. Damit hatte ich erst mal das Knowhow, um im Unternehmen anzufangen und mich hoch zu arbeiten. Bis auf einige Praktika habe ich allerdings nur im Unternehmen gearbeitet, beschreibt von Boch seinen Karriereverlauf. Nachfolger müssten jetzt mehr mitbringen. Heute gelten sehr strenge Kriterien was Familienmitglieder betrifft, die in den Vorstand einziehen wollen. Auch, um nicht den Anschein zu erwecken, das Unternehmen wäre eine Art Versorgungseinrichtung für Familienmitglieder.

Es war mir nicht in die Wiege gelegt. Es gab andere Optionen.

 
Allerdings: Seine vier Kinder werden ohnehin nicht im Unternehmen der Familie arbeiten: Sie kümmern sich um ihre eigenen Unternehmen, betreiben Forstwirtschaft oder studieren Fotografie in den USA. Zurzeit ist Villeroy & Boch tatsächlich auch kein Hort für Familienmitglieder mehr. Sie halten zwar noch alle Stammaktien und damit sämtliche Stimmrechte. Operativ übernahm mit Frank Göring aber ein familienfremder Manager die Leitung. Es hat sich immer ausgezahlt, auswärtige Expertise ins Unternehmen zu holen, erklärt von Boch die Strategie, die auch Animositäten in der Familie verhindern soll.

Expansion ins Reich der Mitte

Ganz ohne Familie geht es aber doch nicht: Nicolas Luc Villeroy ist im Vorstand seit 2012 für den Unternehmensbereich Tischkultur verantwortlich. Und da tut sich auch im 268. Jahr in der Unternehmensgeschichte so einiges: Wir werden uns weiter nach Asien orientieren, so von Boch über die Zukunftspläne des Unternehmens. In China konnte Villeroy & Boch seine Umsätze zuletzt deutlich steigern. Vor allem die Sanitär-Sparte konnte profitieren. Angesichts des abflauenden Bau-Booms im Reich der Mitte stellen sich die Mettlacher gerade in der Region breit auf. Wer durch Asien reist, stößt immer öfter auf die bekannten House of Villeroy & Boch-Läden aus der Heimat. Da sind die Saarländer allerdings nicht die Einzigen. Das weiß auch von Boch: Wir müssen uns in Zukunft immer wieder fragen, ob wir alleine bestehen können oder Allianzen schmieden, damit wir uns strategisch absichern können. Eine Liebesheirat würde einem solchen Bündnis allerdings diesmal wahrscheinlich nicht folgen.

Kurz-Biografie

Wendelin von Boch-Galhau

wurde 1942 in Mettlach im Saarland geboren und wuchs als viertes von sieben Kindern auf dem Linslerhof bei Überherrn auf. Seinen Abschluss als Diplomkaufmann absolvierte er an der Hochschule St. Gallen in der Schweiz bevor er 1967 in das Familienunternehmen eintrat. Nach neun Jahren als Vorstandsvorsitzender wechselte er 2007 in den Aufsichtsrat von Villeroy & Boch.

 

Unternehmen

Villeroy & Boch AG

Branche: Hersteller von Keramikwaren
Gründung: 1748 in Mettlach
Mitarbeiter: 7.300
Umsatz: 766 Millionen Euro (2014)

 

 
Partner
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