Porzellan 4.0
Porzellan 4.0
Zusammenführung der Familien
Was bei der Verfolgung der Diebe hinderlich war, erwies sich vor über 150 Jahren als Segen für die vorher konkurrierenden Unternehmerfamilien Villeroy und Boch. Denn 1836 taten sie sich am Stammsitz der Bochs in Mettlach zunächst unternehmerisch zusammen und krönten die Fusion schließlich mit einer Liebesheirat zwischen den beiden Stämmen. Die einzigartige Lage im Herzen Europas, im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Deutschland, eröffnete dem Unternehmen gleich zwei große Märkte, bevor „Villeroy & Boch“ auch europaweit bekannt wurde. Das Schonen von Ressourcen ist für von Boch jedoch nicht nur Privatvergnügen. Auch in der energieintensiven Produktion bei „Villeroy & Boch“, wo er von 1998 bis 2007 in 8. Generation dem Vorstand vorsaß und seitdem im Aufsichtsrat die Geschicke des ältesten noch bestehenden Familienunternehmens überwacht, nahm er sich dem Thema an. Früh hat von Boch auf effizientere Brennöfen gesetzt und mit dafür gesorgt, dass der immense Wasserverbrauch der Fabriken durch Wiederaufbereitung gesenkt wurde.Zukunftsweisende Innovationen
Nicht die einzige Innovation, die dem Unternehmen seit der Gründung durch François Boch im Jahre 1748 das Überleben sicherte: Schon die ersten Dekors des Unternehmens waren spülmaschinenfest – was damals noch keine Rolle spielte, sollte über 200 Jahre später ein riesiger Wettbewerbsvorteil sein. „Die zweite große Idee der Bochs war ein 100 Meter langer Tunnelofen,der nicht mehr mit Holz, sondern mit Kohle befeuert wurde. Und die gab es hier ausreichend“, erklärt von Boch. Ein weiterer Grund für die Entscheidung seiner Vorfahren, Produktion und Wohnsitz von Lothringen nach Mettlach an der Saar zu verlegen, wo das Unternehmen inzwischen 50 Prozent der bebauten Fläche beansprucht.Mettlach 2.0
Doch der Standort fern von großen Metropolen stellt das Unternehmen heute vor Herausforderungen. Denn den Fachkräftemangel bekommt auch „Villeroy & Boch“ zu spüren. Das Projekt Mettlach 2.0 soll zumindest teilweise Abhilfe schaffen: Alte Fabrikgebäude werden abgerissen, moderne Büros entstehen in historischen Gemäuern und bald sollen die Mitarbeiter rund um den firmeneigenen Weiher im Grünen arbeiten können. Dieses Mitarbeiter-Wellnessprogramm mit zusätzlichen Shopping-Angeboten für Anwohner und Touristen kostet in den nächsten Jahren 20 Millionen Euro. Ob sich der IT-Nachwuchs, den das Unternehmen am dringendsten braucht, allerdings allein mit frischer Luft und zauberhaften Natur-Panoramen locken lässt?„Diese jungen Leute zu gewinnen, das ist tatsächlich eine Herausforderung für uns. Noch zieht die Marke genügend Fachkräfte an, aber das wird auf uns zu kommen. Das zeichnet sich schon jetzt bei uns in der Mitarbeiter-Demografie ab“, räumt von Boch ein.Keine Versorgungseinrichtung für Familienmitglieder
Für Wendelin von Boch ist das Saarland schon immer Lebensmittelpunkt gewesen. „Ich wurde quasi in meinem späteren Vorstands-Büro geboren“, verrät von Boch. Die Alte Abtei dient dem Unternehmen nach dem Umzug der Familie als Zentrale. Die Geburt in die Porzellan-Dynastie bedeutete jedoch nicht, dass damit der Weg in den Vorstand geebnet war. „Es war mir nicht in die Wiege gelegt. Es gab andere Optionen. Ich wurde an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in St. Gallen ausgebildet. Meine Schwerpunkte waren Marketing und Vertrieb. Damit hatte ich erst mal das Knowhow, um im Unternehmen anzufangen und mich hoch zu arbeiten. Bis auf einige Praktika habe ich allerdings nur im Unternehmen gearbeitet“, beschreibt von Boch seinen Karriereverlauf. Nachfolger müssten jetzt mehr mitbringen. „Heute gelten sehr strenge Kriterien was Familienmitglieder betrifft, die in den Vorstand einziehen wollen. Auch, um nicht den Anschein zu erwecken, das Unternehmen wäre eine Art Versorgungseinrichtung für Familienmitglieder.“Es war mir nicht in die Wiege gelegt. Es gab andere Optionen.
Expansion ins Reich der Mitte
Ganz ohne Familie geht es aber doch nicht: Nicolas Luc Villeroy ist im Vorstand seit 2012 für den Unternehmensbereich Tischkultur verantwortlich. Und da tut sich auch im 268. Jahr in der Unternehmensgeschichte so einiges: „Wir werden uns weiter nach Asien orientieren“, so von Boch über die Zukunftspläne des Unternehmens. In China konnte „Villeroy & Boch“ seine Umsätze zuletzt deutlich steigern. Vor allem die Sanitär-Sparte konnte profitieren. Angesichts des abflauenden Bau-Booms im Reich der Mitte stellen sich die Mettlacher gerade in der Region breit auf. Wer durch Asien reist, stößt immer öfter auf die bekannten „House of Villeroy & Boch“-Läden aus der Heimat. Da sind die Saarländer allerdings nicht die Einzigen. Das weiß auch von Boch: „Wir müssen uns in Zukunft immer wieder fragen, ob wir alleine bestehen können oder Allianzen schmieden, damit wir uns strategisch absichern können.“ Eine Liebesheirat würde einem solchen Bündnis allerdings diesmal wahrscheinlich nicht folgen.Kurz-Biografie
Wendelin von Boch-Galhau
wurde 1942 in Mettlach im Saarland geboren und wuchs als viertes von sieben Kindern auf dem Linslerhof bei Überherrn auf. Seinen Abschluss als Diplomkaufmann absolvierte er an der Hochschule St. Gallen in der Schweiz bevor er 1967 in das Familienunternehmen eintrat. Nach neun Jahren als Vorstandsvorsitzender wechselte er 2007 in den Aufsichtsrat von Villeroy & Boch.